Goldenes Buch der Stadt Hanau
Mit 40 x 45 cm Größe und 12 Kilogramm ist es im wahrsten Sinne des Wortes ein Schwergewicht: das Goldene Buch der Stadt Hanau. In dem in Leder gebundenen Koloss dürfen sich prominente Besucherinnen und Besucher Hanaus verewigen. Ein Dokument der Zeitgeschichte, eine veritable Gästechronik. Mit vielen positiven, aber auch einer negativen Seite – wie heißt es so treffend: Geschichte geht mit uns mit.
Der erste Eintrag datiert vom 18. Oktober 1942 zur Einweihung des Deutschen Goldschmiedehaues, als Hermann Esser (1900-1981) als Präsident der Gesellschaft für Goldschmiedekunst signierte. Esser trat bereits 1920 in die NSDAP ein, war ab 1933 stellvertretender Reichstagspräsident und von 1939 bis 1945 Staatssekretär für Fremdenverkehr im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda - damit Stellvertreter von Joseph Goebbels.
Der Einband des Goldenen Buches wurde 1938 vom Direktor der Zeichenakademie Hermann Wandinger (1897-1976) geschaffen. Der Goldschmied sorgte für die (unpolitischen) Edelmetall- und Kristallschnittarbeiten, die das Hanauer Handwerk symbolisieren. Wandinger hatte einen Zwillingsbruder namens Franz (1897-1961). Beide stammten aus einer Goldschmiedefamilie und begannen 1910 ihre Lehren in München. Hermann Wandinger studierte zudem 1924 an der dortigen Kunstgewerbeschule und 1925-32 an der Kunstakademie Bildhauerei. Sie führten florierende Werkstätten in ihrem Geburtsort Dorfen und der bayerischen Landeshauptstadt. 1933/1937 traten beide der SA wie NSDAP bei. Ihre Linientreue war mit ausschlaggebend, dass sie u. a. Schmuck, Tafelsilber, Fotorahmen, Ehrengeschenke, Orden und Urkundenapplikationen an NS-Größen lieferten, darunter Hitler persönlich.
Hermann Wandinger wurde 1936 zum Leiter der Zeichenakademie Hanau berufen und richtete den Lehrbetrieb systemgemäß als „Meisterschule des deutschen Handwerks“ aus. Während des Krieges mussten die Schülerinnen und Schüler an drei Tagen die Woche Geschosshülsen produzieren. 1941 wurde Wandinger von den Stadtoberen in den Ruhestand versetzt, weil er wohl mehr in München in seinem Betrieb als in Hanau anzutreffen war. Nach dem Krieg schufen die Brüder weiter Schmuck, Wandplastiken, Reliefs und sakrales Gerät überwiegend im Bayerischen.
Seit langer Zeit ist der erste Buchblock aus dem Goldenen Buch herausgetrennt und in den Bestand des Stadtarchivs Hanau übergeben worden. Außer den Einträgen zur Eröffnung des Goldschmiedehauses finden sich keine aus der Zeit des sog. „Dritten Reichs“ bis zum Kriegsende 1945.
Inzwischen sind über 200 prominente Signaturen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Kirche und Sport auf edlem Büttenpapier verzeichnet. Aber auch von speziell geehrten Personen: Am 14. Oktober 1955 wurden Spätheimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft gebeten, sich als Geste des Willkommens einzutragen. Ebenso durften die Mitglieder des beratenden Kinderkomitees für das GrimmsMärchenReich zur Eröffnung 2019 unterschreiben – bisher die einzigen Einträge von jungen Menschen. Auf www.hanau.de/stadtentwicklung/geschichte/geschichtliche_dokumente/goldene_buch/index.html können Sie in Bildseiten des Goldenen Buches der Stadt Hanau stöbern.
Text: Martin Hoppe
Goldenes Buch der Stadt Hanau (© Medienzentrum Hanau / Bildarchiv, Aufnahme: Roland von Gottschalck)