hu logo lang 400px sw

#274

Mainzer Bier?

An der Ecke Nordstraße / Corniceliusstraße steht ziemlich überraschend ein mächtiger quadratischer Schornstein. Er rührt von der bis 1895 produzierenden Teppichfabrik Leisler & Co., ist der wohl älteste erhaltene Schlot in Hanau und steht deshalb unter Denkmalschutz. Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich auf dem Gelände der Getränkegroßhandel Reichert (von damals stammen die aufgesetzten Buchstaben „Mainzer Bier“, warum eigentlich nicht Nicolay?, auf der Rückseite „Sinalco“) und das Restaurant La Casa, ehe die Seniorenresidenz Domicil errichtet wurde.

Die Teppichfabrik Leisler war eines der renommierten und europaweit agierenden Hanauer Unternehmen des Konsumgüterbereichs. Es entstanden Teppiche, die bis in die großherzogliche Bibliothek nach Weimar und die Residenzen des Bayernkönigs Ludwig II. geliefert wurden. Johann Wolfgang von Goethe besuchte 1815 den Betrieb und lobte „die größte Vollkommenheit der hier hergestellten Wilton-Teppiche“.

In der Deutschen Digitalen Bibliothek findet sich neben Schriftverkehr Leislers an Goethe ein „Preis-Courrant der Fuss-Teppich-Fabrik von Leisler & Comp. in Hanau“ aus dem Jahr 1817, das Auskunft über die Leistungen gibt (Brief von Leisler & Co. an Johann Wolfgang von Goethe in der Deutschen Digitalen Bibliothek). Es werden u.a. Teppiche „ordinair carriert, schottisch, venetianisch“, als „Moquet sogenannte Wilton oder Brussels-Teppiche“ (Moquette wird noch heute wegen seiner edlen wie schalldämpfenden Beschaffenheit gerne in Theatern und Hotels verlegt), aber auch kleinere Medaillon-Teppiche und sogar Pferdedeckenzeug angeboten. Vergessen wir bei all der Pracht nicht, dass zu dieser Zeit Kinderarbeit Gang und gäbe war.

Text: Martin Hoppe

 

Fabrikschlot der Teppichfabrik Leisler an der NordstraßeFabrikschlot der Teppichfabrik Leisler an der Nordstraße (© Fachbereich Kultur der Stadt Hanau, Aufnahme: Martin Hoppe)